„Sie wollen Macht gewinnen, indem sie uns unterdrücken.“ 

Rainbow Stories auf der Frankfurter Buchmesse 2024: Der Künstler Roberto Barbosa untermalt eine der Geschichten in einer Video-Arbeit. Im Interview erklärt er, in welcher Weise er seine Kunst auch für Rainbow Refugees einsetzen möchte, wie seine eigene Geschichte sein Engagement prägte und warum das Bahnhofsviertel ihm Freiheit schenkt.  

Du bist gerade dabei, eine Videoarbeit für die Veranstaltung der Rainbow Stories auf der Frankfurter Buchmesse zu produzieren. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Roberto Barbosa: Mein Mann erzählte mir von dem Projekt Rainbow Stories, das Geschichten von queeren Geflüchteten stärker in die Öffentlichkeit bringen möchte. Dann traf ich Frank Pauli, der gemeinsam mit der Journalistin Nadia Saadi die Initiative Rainbow Stories gründete. Er erzählte mir von dem geplanten Event auf der Frankfurter Buchmesse. Zufällig suchten sie einen Videokünstler, um eine der Geschichten zu untermalen …es war ein Glücksfall, dass ich davon erfuhr. Ich sagte sofort: Ja – ich will das machen!

Warum warst Du sofort bereit, das Projekt der Rainbow Stories zu unterstützen?

Roberto Barbosa: In einer der Rainbow Stories erzählt Kojin die Geschichte seiner Flucht aus dem irakischen Kurdistan. Als LGBT* musste er unter Lebensgefahr sein Land verlassen. Als ich die Geschichte das erste Mal las, fühlte ich mich sofort stark mit Kojin verbunden. Wir kommen zwar aus völlig unterschiedlichen Regionen – ich aus Mexiko, er aus dem irakischen Kurdistan – aber im Grunde spielt es keine Rolle. Wenn du Part der LGBT-Community bist, machst du oft ähnliche Erfahrungen an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Die Regierung, die Religion und die Gesellschaft in lgbt-feindlichen Ländern wenden sich gegen uns Minderheiten. Sie wollen vorgeben, was moralisch verwerflich, was richtig und falsch ist. Sie wollen Macht gewinnen, indem sie uns unterdrücken. Deshalb ist es so wichtig, zusammen zu stehen und gemeinsam zu kämpfen.

Kojin hat mich unglaublich inspiriert. Als ich den Dokumentarfilm über ihn sah, der noch während seiner Zeit im irakischen Kurdistan gedreht wurde, spürte ich seine Entschlossenheit: Selbst wenn ich dabei sterbe, ich mache es trotzdem. Wenn du so viel Druck von außen bekommst, fühlst du dich in gewisser Weise bereits tot. Du hast nichts mehr zu verlieren.

Warum setzt du dich für die Rechte queerer Menschen ein?

Roberto Barbosa: Viele meiner Videoarbeiten wurzeln in meiner eigenen Biografie. Als Kind wuchs ich in Mexiko in einer sehr katholischen Familie heran und merkte, dass ich mich von Männern angezogen fühlte. Ich dachte: Das darf nicht wahr sein! Ok, ich habe drei Optionen: Entweder bringe ich mich um oder ich werde Priester – oder ich lerne straight zu werden und heirate eine Frau. Homosexuell zu sein war absolut keine Option!

Geschichten, wie die von Kojin zu erzählen, ist wichtig, damit Menschen den Kampf verstehen, den wir in der Community oft führen müssen. In Europa denken wir, unsere Rechte seien selbstverständlich. Aber im Grunde müssen wir immer weiterkämpfen. Du kannst dich als Minderheit sehr schnell in einer schlimmen Situation wiederfinden. Alles ist sehr fragil und die Dinge ändern sich schnell. Wir müssen nur nach Italien, Polen oder Ungarn schauen.

Deshalb supporte ich Organisationen wie die Rainbow Refugees, die es Menschen ermöglicht, in Freiheit zu leben und sie selbst zu sein. Es macht mich so glücklich, Menschen wie Knud Wechterstein, dem Landeskoordinator der Rainbow Refugees zu begegnen. Je mehr ich von solchen Menschen umgeben bin, desto besser fühle ich mich selbst.

Du lebst im Nordend, hast Dein Atelier aber mitten im Bahnhofsviertel…

Roberto Barbosa: Ja, ich mag den Kontrast. Das Nordend kann schnell langweilig werden. Du siehst immer die gleiche Art von Leuten. Alles scheint perfekt – die Wohnung, der Job, die Kleider… es bleibt wenig Raum für andere, die nicht ins Bild passen. Obwohl ich „dazu gehöre“, fühle ich mich manchmal selbst ausgeschlossen – so als würde ich nicht wirklich in diese perfekte Welt passen.

Von New York sagt man kannst du alles sein, was du willst – ich spüre im Bahnhofsviertel auch dieses Potenzial. Die Umgebung erlaubt mir, alles zu sein, was ich sein möchte. Das gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Das Bahnhofsviertel ist sehr divers und dadurch lebensnaher. Hier leben viele Obdachlose, Migrant*innen, Sexarbeiter*innen – viele Menschen, die um ihre Existenz kämpfen müssen. Diese Erfahrungen vor meiner Tür spiegeln sich auch in meiner Kunst wider. Ich arbeite viel mit Storytelling-Elementen. Wenn ich hier Leute beobachte, denke ich oft: Was ist geschehen, dass dieser Mensch auf der Straße gelandet ist? Das könnte ich sein, wenn ich schlechte Entscheidungen getroffen oder weniger Glück gehabt hätte. Wir sind alle so verletzlich und oft entscheidet eine dünne Linie, ob wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen oder in der Gosse landen.

Du bist sehr international unterwegs, hast schon in Städten wie New York, Guadalajara oder Kopenhagen gearbeitet. Wie kamst Du nach Frankfurt?

Roberto Barbosa: Ich kam 2016 nach Deutschland, um an der Städelschule zu studieren. Die Städelschule ist eher klein, dabei sehr international – das half mir, hier eine zweite Familie zu finden. Ich fühlte mich schnell zu Hause und mit Frankfurt verbunden. Eine Weile arbeitete ich in Kopenhagen und später in Rotterdam für renommierte Architekturfirmen. Aber dann ergab sich die Chance für ein Stipendium, wieder in Frankfurt. Ich konnte zurückkehren und es fühlte sich an wie ein Nachhausekommen. Alles erschien plötzlich so leicht.

Du arbeitest schon länger mit dem Format Video. Inwieweit lässt Du hierbei deine Erfahrungen als Architekt einfließen?

Roberto Barbosa: Viele meiner künstlerischen Arbeiten beziehen sich auf meinen Background als Architekt. Ich baue Räume als Miniaturen, um eine Geschichte zu verkörpern. Dabei geht es nicht um eine naturgetreue Nachbildung des Raumes. Meine Räume sind eher eine Art Metapher, etwa für das Gefühl der totalen Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit, die Kojin nach seiner missglückten Flucht empfand. Ein leerer dunkler Raum mit vergitterten Fenstern symbolisiert dieses Gefühl.

Diese Arbeit kann kathartisch wirken. Wenn du einen Raum, der für dich eine Bedeutung hatte, von oben betrachtest, siehst du deine eigene Geschichte aus einer anderen Perspektive. Du siehst dein Leben in Miniatur. Ein Rückblick auf Deine Geschichte aus dieser Perspektive kann eine Art Therapie sein. Du warst im irakischen Kurdistan, bist gerannt, hast um dein Leben gekämpft, bist dabei fast gestorben. Um all das zu verarbeiten und zu verstehen, braucht es Zeit. Auch zu realisieren, dass du es geschafft hast und nun in Sicherheit bist, kann Zeit brauchen. Kojin selbst beschreibt, dass er immer noch kämpfen muss, um die Angst und innere Dunkelheit abzuwehren. Ich denke: Wenn du eine Szene aus der Vergangenheit – gewissermaßen von außen – betrachtest, verstehst du plötzlich: Du bist nicht mehr in dieser Situation, bist nicht mehr Teil dieser alten Welt. Du kannst frei sein.

Wie möchtest Du wahrgenommen werden – siehst du dich eher als Architekten, als Video-Artisten oder interdisziplinären Künstler?

Roberto Barbosa: I am many! Nur weil ich etwas bin, kann ich trotzdem auch das Andere sein. Ich begreife mich als Viele und Vieles. Wir entdecken oft erst im Laufe des Lebens, was wir sind und was wir sein können. Der Prozess, zu etwas Neuem zu werden, interessiert mich mehr als Labeling.

Autorin: Nadia Saadi

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