Elka Edelkott und Katja Walterscheid sind Gründerinnen der Menschenrechts-Organisation Just Human – seit 32 Jahren ein Paar und seit 24 Jahren verheiratet. Ihr Verein unterstützt Menschen, die von Krieg, Gewalt, Verfolgung und Ausbeutung betroffen sind. Im Interview erzählen sie, warum diese Menschen selbst entscheiden sollen, was ihnen wichtig ist, wie ein internationales Netzwerk funktioniert und weshalb sie als lesbisches Ehepaar queeren Menschen in Not Mut machen. Im März 2025 wurden Elka Edelkott und Katja Walterscheid für ihr Engagement bei Just Human als „Stuttgarterinnen des Jahres“ ausgezeichnet.
Viele Geflüchtete landen zunächst in Griechenland. Die von Euch gegründete Organisation Just Human engagiert sich auch auf Lesbos und in Athen – was macht ihr vor Ort konkret?
Elka: Wir sind seit 2019 in Athen aktiv, seit 2020 betreiben wir dort das Maison Charlotte, ein Schutzhaus für geflüchtete Frauen, Kinder und LGBT*s. Zudem finanzieren wir Zimmer oder Wohnungen, um Menschen vor existentieller Not, sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Dabei kooperieren wir mit anderen Organisationen vor Ort, die beispielsweise medizinische Versorgung oder Rechtsberatung übernehmen. Die Situation in Griechenland ist für Geflüchtete oft katastrophal. Auch bereits anerkannte Geflüchtete erhalten in Griechenland häufig keinerlei staatliche Unterstützung, sind obdachlos und mittellos. Ohne Wohnadresse finden sie keine reguläre Arbeitsstelle, ohne Arbeit können sie aber keine Wohnung finden. In dieser Situation sind sie trotz ihrer Anerkennung als Flüchtlinge erneut Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. Deshalb bieten wir auch für anerkannte geflüchtete Frauen und LGBT+ Unterstützung an.
Katja: Nachhaltige Unterstützung ist uns sehr wichtig. Im Januar 2024 starteten wir in Athen deshalb das Programm „Schutz und Unterstützung beim Start in ein selbstbestimmtes Leben“ für Frauen, auch Transfrauen, mit und ohne Kinder, die als Geflüchtete anerkannt sind. Die Frauen unterzeichnen selbst ihren Mietvertrag, bei Bedarf unterstützen wir bei Mietzahlungen, Kaution, Kinderbetreuung etc. Gleichzeitig besprechen wir mit ihnen, was sie noch brauchen, etwa Fortbildungen oder Sprachkurse. Zudem unterstützen wir sie individuell bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Was uns sehr wichtig ist: Die Frauen entscheiden selbst, was sie machen wollen.
Ihr kooperiert in Griechenland mit anderen Organisationen und Hilfsinitiativen. Wie funktioniert das?
Katja: Es gibt in Griechenland ein Riesennetzwerk, das gut funktioniert. Sehr hilfreich ist die große WhatsApp-Gruppe von Organisationen, die zusammenarbeiten. Manche sprechen uns an, manche sprechen wir an. Wir sind eine sehr internationale Gemeinschaft – darunter auch viele Griech*innen und griechische Einrichtungen, die sich sehr für Geflüchtete engagieren. Wir kooperieren mit Organisationen, die kostenlos Sprachkurse, Rechtsberatung, psychologische Beratung oder medizinische Hilfe anbieten. Auch von Geschäften vor Ort erhalten wir immer wieder hochwertige Spenden, etwa Lebensmittel und Säuglingsnahrung, nichts Abgelaufenes.
Ihr trefft viele Menschen, erlebt viele Schicksale. Welche Geschichte ist euch besonders in Erinnerung geblieben?
Elka: Vor einigen Jahren wurde ein lesbisches Paar an uns verwiesen. Die beiden Frauen flohen gemeinsam aus ihrem Heimatland, nachdem eine von ihnen zwangsverheiratet wurde. Im Lager auf Lesbos, Moria 2, bekannt für menschenunwürdige Bedingungen, wurden sie zu ihrem Fluchtgrund befragt – in einem Kontext, in dem andere mithören konnten. Nachdem ihre Homosexualität auf diese Weise bekannt wurde, sozusagen ein Zwangs-Outing, erlebten sie massive frauenfeindliche, homophobe und sexualisierte Gewalt im Camp. Auch außerhalb des Lagers hatten sie ständig Angst, ihren Landsleuten zu begegnen. Zunächst unterstützen wir das Paar durch Nothilfe – mit Kleidung und Medikamenten. Später stellte eine Organisation ihnen ein Zimmer außerhalb des Lagers zur Verfügung, und wir halfen, den Lebensunterhalt zu finanzieren.
Katja: Beide waren stark traumatisiert, hatten körperliche Verletzungen und waren in ärztlicher Behandlung. Sie litten unter Schlafstörungen, waren sehr ängstlich und hatten Mühe, jemandem zu vertrauen. Wir haben möglichst viel Zeit mit ihnen verbracht und schließlich einen guten Draht zu ihnen gefunden. Sie sagten, es sei ganz wunderbar, uns zu treffen – ein lesbisches Paar, das verheiratet ist und gemeinsam arbeitet. Das hat sie sehr ermutigt.
In gewisser Weise habt ihr also eine Doppelrolle. Zum einen helft ihr konkret, zum anderen seid ihr Vorbild für die queere Community?
Katja: Das stimmt. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in einem großen Community-Center für LGBT*-Geflüchtete – wir boten eine Fortbildung für die Refugees an, zum Thema Trauma und Self Care. Rund 50 Leute kamen, der Saal war voll. Wir erklärten zunächst: „Wir sind ein lesbisches Paar, wir leben und arbeiten zusammen.“ Wir haben gemerkt, wie die Herzen aufgingen. Die Menschen wandten sich uns zu, richteten sich auf, lächelten. Die Veranstaltung dauerte geschlagene drei Stunden – niemand verließ den Saal vor Ende.
Elka: Sie verstanden, ah, das sind Leute von unserer Community, sie wissen, was LGBT-Personen passieren kann. Viele haben uns rückgemeldet, es sei schön uns als verheiratetes Paar zu erleben, das sich engagiert. Das ist ermutigend, kann ein Ansporn sein zu sagen: Es kann noch gut werden in meinem Leben.
Just Human betreibt auch eine eigene Akademie. Was macht ihr konkret?
Katja: Wir bieten zum Beispiel Workshops für Hauptamtliche und Ehrenamtliche an, die im Bereich Flucht und Migration arbeiten. Ich bin Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin. Mein Spezialgebiet ist Trauma und Flucht. Es geht darum, Reaktionen von traumatisierten Menschen besser zu verstehen und Abläufe so zu verbessern, dass sie keine Retraumatisierung auslösen. Oft sind es ganz schlichte Dinge, die bessere Gestaltung von einfachen Prozessen, die eine erhebliche Auswirkungen auf den Alltag haben. Ein Beispiel: In Asylunterkünften musst du beim Essen oft mit Menschen zusammensitzen, die du nicht kennst – dir jedes Mal mit deinem Tablett einen neuen Platz suchen. Das ist für traumatisierte Menschen oft kaum auszuhalten. Es verändert viel, wenn Geflüchtete in ihren Einrichtungen in kleinen Gruppen essen und Menschen, die sich mögen, zusammensitzen können. Wir helfen dabei, durch unsere Schulungen solche Störfaktoren zu erkennen und Abläufe zu verbessern.
Ihr arbeitet beide noch in euren Berufen und habt mit Just Human einen Verein aufgebaut, der viel Zeit und Energie verlangt. Ist das nicht eine enorme Herausforderung?
Katja: Ich bin in Rente, arbeite aber noch als Trauma-Therapeutin und gebe Schulungen. Für Just Human arbeite ich bestimmt 30 Stunden/Woche zusätzlich, ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis. Privates und ehrenamtliches Engagement vermischen sich oft.
Elka: Ich habe eine 60-Prozent-Stelle im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Für Just Human arbeite ich zusätzlich ehrenamtlich rund 25 Stunden die Woche. Mein Arbeitgeber, die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, schätzt mein Engagement, und ich arbeite sehr gerne dort. Es ist auch eine wichtige und intensive Arbeit, aber psychisch nicht so bewegend wie das Engagement bei Just Human. Dieses Miteinander meiner verschiedenen Engagements tut mir gut.
Natürlich kommen wir mit Just Human immer wieder an unsere Grenzen, die aber tatsächlich fast nur finanzieller Art sind. Wir würden gerne mehr Menschen unterstützen, aber dafür bräuchte unsere Organisation mehr Geld.
In Baden-Württemberg leitet ihr aktuell das Projekt „Vielfalt entdecken: Lebensgeschichten von LSBTTIQ“. Könnt ihr uns etwas darüber erzählen?
Katja: Ziel des Projekts ist es Lebensgeschichten von queeren Menschen aus Baden-Württemberg zu erzählen, Diskriminierungen und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Gefördert wird es vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration.
Elka: Die Idee zum Projekt kam uns, als wir 2023 im Rahmen der Frankfurter Buchmesse zu einer Veranstaltung eingeladen waren. Auf dem Event wurden Geschichten queerer Geflüchteter der Autorin Nadia Saadi vorgetragen – Rainbow Stories. Dabei wurde auch Atishs Geschichte erzählt – Atish ist ein junger Künstler, den wir lange in Athen unterstützt haben. Als wir an dem Abend diese wunderbaren Geschichten hörten, war ich sehr berührt. Durch Geschichten bekommen andere eine Idee davon, was Menschen aus der Community erleben. Gleichzeitig versteht man, dass wir ein ganz normaler Teil der Gesellschaft sind, arbeiten, lieben, leben wie andere auch. So kamen wir auf die Idee, gemeinsam mit der Autorin weitere Rainbow Stories zu entwickeln und im Rahmen von Lesungen an die Öffentlichkeit zu bringen.
Das klingt alles nach einem reichen und bunten Leben. Was bedeutet Just Human für Euch persönlich?
Katja: Für mich ist Just Human ein wichtiger Lebensinhalt. Ich wollte immer schon Menschen unterstützen, die nicht die Chancen hatten, die ich habe. Bei allen Schwierigkeiten, die meine Homosexualität mit sich bringt, habe ich doch sehr große Vorteile, weil ich in Deutschland aufgewachsen bin.
Elka: So viele Menschen geraten durch die aktuelle Politik weltweit in Not. Uns erreichen immer mehr Anfragen. Jetzt hilft unser starkes Netzwerk. Wir können nicht die ganze Welt retten, aber wir können was bewirken. Mit Just Human können wir umsetzen, was uns wichtig ist. Ein respektvoller Umgang mit den Menschen und Hilfe dort, wo sie gebraucht wird. Als wir Just Human gründeten, dachten wir – wir probieren das jetzt und merkten, wir können ganz vielen Menschen helfen. Wir haben es einfach gemacht.
Katja: Angesichts der ungeheuren Menschenrechtsverletzungen fühlen sich viele so hilflos, machtlos, ohnmächtig. Du siehst das Grauen in unserer Welt und denkst, du kannst nichts tun. Das ruft eine Lähmung, ein Erstarren hervor. Aber wenn ich ins Handeln komme, löst sich die Erstarrung.
Autorin: Nadia Saadi